Vom Ende der Welt

Reisebericht von Thomas Kabisch


Teil VI: Trondheim südwärts.



Mi, 04.09.02

Gegen Mitternacht wird zum vierten und letzten Mal auf dieser Reise der Polarkreis passiert, allerdings friedlich schlummernd im Bett. Im Gegensatz zu Reservierungen hätte wäre eine Fahrkarte für diese Fahrt nicht nötig gewesen, die wird überhaupt nicht kontrolliert. So fahre ich noch 8Stunden des 4.9. mit dem Eintrag 3.9. durch die Lande. Wenn das nicht für die Hurtigrute spricht?
Wie fast immer im Schlaf- und Liegewagen, kommt das Ziel viel zu schnell. Und so vergehen die 10Stunden Fahrt auch wie im Schlaf. Und gegen 8Uhr ist die graue Wirklichkeit auf dem Bahnhof von Trondheim dann als Ziel nicht gerade einladend. Mal wieder sind Entscheidungen zu treffen. Die Hurtigrute startet in zwei Stunden, der nächste Zug nach Süden aber leider schon in 20min. Also keine Zeit zum Hafen zu gehen, zu gucken und erst dann weiter zu fahren. Und wenn der 8Uhr Zug weg ist, dann gibt es erst am Nachmittag wieder eine Verbindung zwischen den beiden größten Städten Norwegens.

Zudem will Anne auch ein bischen allein an Bord sein. Sonst gibt es da wohl fast nur Rentner. Ich glaube, dass ich das wohl doch nicht will. Also ist die nächste Investition mal wieder eine Mitfahrerlaubnis für einen Zug. Und der zeigt dann zum ersten Mal, wie 'die neue Bahn' so aussieht kann. Vergessen alle Reisekultur, die es in diesem Verkehrsmittel einmal gab! Der Express nach Oslo besteht ausschließlich aus Flugzeugartigen Großraumwagen, natürlich keiner mehr als nötig, damit auch in Sache Enge das heutzutage bevorzugte Flugzeugfeeling aufkommt. Monoton brummt die Klimaanlage, an zu öffnende Fenster ist natürlich nicht zu denken.
Immerhin ist der Zug nicht völlig ausgebucht, so gibt es wenigstens noch 2 Plätze nebeneinander. Abfahrt um 8:20Uhr.
Es geht durch eine hügelige Landschaft, irgendwann lichtet sich der Nebel, ein bischen Sonne kommt durch. War Trondheim am Meer, geht es nun wieder hoch in die Berge, zunächst ist noch alles grün, je weiter wir fahren, umso herbstlicher wird es. Faszinierend im Gegensatz zum modernen Fahrzeug- material sind die Bahn-Anlagen. Selbst auf dieser Haupstrecke finden sich zahlreiche Holzfahrleitungsmasten.
Irgendwann kommen richtige Berge in Sicht, bei Kungsvoll geht es durch eine nette Schlucht und dann Dombas, mitten in den Bergen gelegen, ein paar Häuser drumherum und ein atemberaubender Ausblick.

Dombas ist der Abzweigbahnhof der Raumabahn nach Andalsness. Bis vor einigen Jahren war diese Strecke das Mecka der Nohab-Loks, nun reichen Solo- triebwagen wie sie in heimischen Landen z.B. auf der Strecke Neustrelitz - Feldberg eingesetzt wurden. Die Rede ist von Talenten, dem 'ICE im Nahverkehr'.

Warten auf Signatur in Dombas.


Heute will wohl niemand die Raumabane befahren, der Tw ist völlig leer. An einer Theke gibt es Kaffee zur Selbstbedienung mit einer 'Kasse des Vertrauens', kennt man irgendwie, in Deutschland hat man sowas aber vor über 10Jahren abgeschaft, es scheint doch ein ganz anderer Kulturkreis hier zu sein hier...
Ausserdem wird mit mit NOK 10 ein neuer Mindestpreis für Norwegen geboten, der auf der ganzen Reise nicht mehr unterboten werden sollte. Der Zugführer ist nett und bedient den dekadenten deutschen Touristen, und bittet ausserdem um Verständnis, dass sich die Abfahrt leider um eine halbe Stunde verschiebt, weil sich die Ankunft von Oslo verzögert. Genügend Zeit bei einem Kaffee die Ruhe und die Landschaft zu geniessen. Und Zeit für eine neue SMS, aus Trondheim. Anne hat sich den Fuß verstaucht und sitzt nun irgendwo in der Altstadt. Ob sie es noch auf das Schiff schafft. Ich wuerde ihr ja gerne helfen, aber irgendwie bin ich nun schon 200km weiter...
Aber bald ist Schluss mit Lustig. Schliesslich steht der Höhepunkt der modernen NSB bevor, hier geht es nicht mehr um Züge, hier wartet Agenda auf Signatur!
Apropos Produkte. Hier im hohen Norden scheint das verwirklicht, was die deutsche Bahn gerade erst anstrebt mit neuen Tarifsystemen und immer neuen tollen 'Produkten': die Bahn ist praktisch zur Bedeutungslosigkeit zusammen- geschrumpft. Zwischen den beiden groessten Staedten fahren genau 2 Zuege am Tag und einer in der Nacht, es gibt gruene, rote und blaue Preise, alles scheint hochkompliziert und man kann nicht einfach mitfahren, sondern muss vorher reservieren...
Was dann aus der Hauptstadt kommt, ist die Zukunft persoenlich, ein sehr an Disneyland erinnerndes etwas, sieht optisch sehr schnell aus, ist es aber offensichtlicht nicht gerade und hat ganze vier Wagen: Signatur, die Top-Marke der NSB. Am Abend wird es noch von innen bestaunt werden können.

Der Güterverkehr hat offensichtlich derweil ein paar Mora-C durchgemacht, so war eine abgestellte El13 am Bahnhof Dombas mit der produktgerechten Beschriftung 'CargoNet' auch das einzige, was auf die einstmalige Existenz dieses Produktes auf der Schiene hindeutete.

Signatur trifft Agenda in Dombas.

Aber genug defrittiert, Signatur ist schnell wieder verschunden und von innen sieht auch Agenda nicht ganz so furchtbar aus wie von aussen. Und man guckt sowieso lieber aus dem Fenster, denn da beginnt jetzt für 1 1/2 Stunden Landschaft von feinsten.
Nun scheint die Neigetechnik von Agenda im Gegensatz zu Signatur sogar zu funktionieren und so rasen wir viel zu schnell über eine absolut beeindruckende Strecke, die immer gebirgiger wird. Irgendwann taucht tief unter uns ein grüner Wasserlauf auf, links und rechts beeindruckenden Fels- landschaften. Dann geht es durch mehrere Kehren, schließlich wollen wir am Ende wieder unten auf Meeresnieveau sein. So kommt das Wasser immer näher, dafür werden die Berge immer gewaltiger, immer höher. So richtig erleben oder fotografieren kann man es aber nicht, man sitzt in einer klimatisierten Box und ehe man den hunderte Meter hohen Wasserfall entdeckt hat, ist der Zug schon wieder im nächsten Tunnel verschwunden. Trotzdem eine der schönsten Strecken schlechthin, unbedingt sehenswert!

Und irgendwann war Andalsness, direkt an einem Ausläufer der Fjorde auf See- höhe gelegen. Glaubt man den Kilometertafeln, dann ist die Strecke mehr als 100km lang.
Eine Di8 in Andalsness.


In Andalsness besteht Anschluss an verschiedene Busse, nur fährt im September leider keiner mehr auf dem berühmten Trollvejen, wohl eine der beeindruckensten Strassen der Welt, direkt am Fels klebend. Also 2 Stunden Zeit, Andalsness zu erkunden. Das beschränkt sich dann doch auf eine Hafenbesichtung und ein Supermarktbesuch gleich am Bahnhof. Im Gegensatz zu Schweden kauft man hier wieder bei bekannten Ketten, so steht 'Spar' hier an der Tür.

Und schon wieder eine Überraschung, sogar im Bäckerladen nebenan versteht man problemlos Englisch. Skandinavien schlägt hier alle Rekorde. Auf der ganzen Reise von der russischen Grenze bei Murmansk bis nach Malmö gabe es niemanden der irgendwo im Dienst des Kunden stand, der nicht in der Lage war, auf Englisch zu kommunizieren...

Nach einer ruhigen Stunde auf der grünen Wiese gegenüber geht es dann zurück mit Agenda. Nun sogar mit Reservierung und ein weitere solche für Signatur von Dombas nach Oslo. Der Solotriebwagen ist voll und ein anfangs positiver Inneneindruck relativiert sich schnell wieder, wenn man einen zugewiesenen Platz irgendwo in der Enge benutzen muss... Jetzt werden die touristischen Higlights auch angsagt, auch dringend nötig bei der Geschwindigkeit, trotzdem ist der höchste Wasserfall Europas der angeblich irgendwo da am Hang sein soll, auch diesmal den neugieren Blicken entwischt.
Man muss sich für diese Strecke wohl mal einen 830er mieten und dann mal in Ruhe das Ganze betrachten. Dann taucht es wieder aus dem Tunnel auf: Signatur, das Ende der Eisenbahn! Und das negative Vorurteil wird schnell zu einem ebensolchen Urteil.
Von innen erscheint es auf dem ersten Blick luxuriös, oder besser dekadent, protzig. Am Platz wird klar: hier waren mal wieder Designer, nicht aber # wirklich mit Eisenbahnfahrten Betraute im Einsatz: Statt eines Fensters guckt man auf einen breiten Steg eben genau zwischne zwei Fenstern.
Und ein Spielabteil mit Fernseher für Kleinkinder ist eine tolle Sache, besonders wenn man es mit einer kaputten Lichtschrankentür versieht...
Handy telefonieren darf man übrigens nicht, vermutlich um den Kinderlärm nicht zu stören, trotzdem erdreistet sich Reiner im fernen Berlin, gerade jetzt anzurufen.
Apropos Handy. Die nächste SMS von Anne ist auch da, sie hat es doch humpelnd noch auf Schiff geschafft und schreibt nur noch 'teuer' dazu. Ihr Kurs ist Bergen, Ankunft morgen nachmittag. Das sollte doch mit Signatur & Co. zu schaffen sein...
Der ist gerade auf dem Weg gen Süden über Lillehammer in die norwegische Hauptstadt Oslo. Nocheimal geht es durch die Hügel, mal ein paar mehr Berge, dann wieder flacher. Dann Oslo, ein langer Tunnel und dann stehen wir im Bahnhof der Träume - Oslo Beton, äh S (entral). So häßlich, dass es fast schon wieder schön ist. Tatsächlich sind sogar bei späterer Betrachtung der Fotos einige architektonische Rundungen in den Betonformen zu entdecken.
Oslo S: Kompromissloses Design in Beton.

Schnell noch die Reservierung für morgen - den Express nach Bergen besorgt und dann aber auf Quartiersuche. Eine Hostel soll irgendwo am Ende der Linie 13 und 17 im Stadtteil Grefsen sein. Ankunft 22Uhr, wie prognostiziert.

Natürlich ist - wie so oft in beliebten Städten nichts so richtig frei, dann aber findet sich aber doch noch ein Bett im Viererzimmer. Einer der Mitbewohner kommt aus Deutschland, so gibt es wieder ein bischen was zu quatschen. Er findet Oslo ganz toll und die Herberge, über deren Charm man zweifeln kann, hat er auch nur gutes zu sagen. Er war eben nicht in Abisko...